Allegra! Das Engadiner Grusswort beinhaltet weit mehr als ein „Grüezi“ – Allegra heisst wörtlich übersetzt: „freue dich“ und im Münstertal steigert man diesen Gruss nochmals zu einem herzhaften „Allegramaing“. David Accola entführt Sie während drei Tagen ans Ende der Schweiz und noch etwas weiter – über ein jahrhunderte altes Gefechtsfeld unserer Geschichte.

Freitag

08.10     Besammlung in Landquart

Fahrt mit der RhB nach Zernez. Mit Pinzgauer-Fahrzeugen weiter nach Susch. Besuch der dortigen Befestigungsanlage aus dem Dreissigjährigen Krieg. Fahrt nach Ova Spin (Sperrstelle) mit Halt für das Mittagessen. Weiterfahrt über den Ofenpass zur Alp da Munt. Kurze Wanderung und Fahrt entlang der linken Talflanke zum Hof Terza und weiter nach Sta. Maria (Geschichtlicher Überblick). Hotelbezug in Müstair. Abendessen und Übernachtung in Müstair

Samstag

Besuch des „MUSEUMS 14/18“ in Sta. Maria und Fahrt auf das Stilfserjoch. Begehung des militärhistorischen Wanderweges über den Monte Scorluzzo auf den Spuren der Gebirgssoldaten des Ersten Weltkrieges während rund 5 Stunden. Lokale Spezialitäten als Zwischenverpflegung aus dem Rucksack, Spatz aus der Gamelle nach Abschluss der Wanderung. Abendessen fakultativ. Übernachtung in Müstair

Sonntag

Fahrt durch den Calvenwald nach Glurns und Tartsch, Hintergrund und Ablauf der Schlacht von 1499; anschliessend Führung durch das Kloster St. Johann in Müstair (UNESCO Weltkulturerbe). Mittagessen in Fuldera, Rückfahrt nach Zernez bzw. Landquart

16.00     Ausstiegsmöglichkeit in Zernez, individuelle Rückreise

18.10     Ankunft in Landquart, individuelle Rückreise

Transportmittel

Die Transporte ab bzw. nach Zernez erfolgen ausschliesslich mit Pinzgauer-Fahrzeugen (6×6) aus dem ehemaligen Armeebestand. Der Reisekomfort ist entsprechend etwas geringer, dafür bringen uns diese Geländefahrzeuge nahe an den Ort der diversen Ereignisse

Ausrüstung

Gültiger Pass oder Identitätskarte, Rucksack, gutes Schuhwerk (Wanderschuhe), dem Wetter angepasste Wanderkleidung, Regen- bzw. Sonnenschutz. Landeskarten 1:50’000: 259 Ofenpass/Pass dal Fuorn, 259 bis Glorenza/Glurns oder Zusammensetzung 5017 Unterengadin/Engiadina Bassa. Landeskarten 1:25’000: 1218 Zernez, 1219 S-charl, 1219 bis Glorenza/Glurns, 1239 Sta. Maria, 1239 bis Müstair

Körperliche Anforderungen

Die Reise wird nach der GMS-Schwierigkeitsskala als anspruchsvolle Reise „A“ eingestuft. Wir bewegen uns oftmals nahe der 3000 Meter Grenze und darüber. Die Marschleistungen am ersten Tag sind mit eins-zwei Stunden bescheiden, am zweiten Tag mit rund fünf Stunden aber schon etwas anforderungsreich. Die Trittsicherheit muss gewährleistet sein.

 

Reiseleitung

David Accola, Berufsoffizier, Eggiwil

Rouven Huber’s Fotogallerie

BILDER GALERIE
BILDER GALERIE

 

Claus Bally’s Reisebericht (als PDF: GMS-Reise 21 2012 Val Müstair)

Freitag

Der Dauerregen des Vortages kam auch am Morgen des 30. August nicht zu Ende, als sich eine kleine Schar pünktlich um 8 Uhr im Bahnhof Landquart einfand. Die kühle Temperatur liess erahnen, dass es nicht zu einer Reise in mildem Spätsommerwetter kommen sollte. Um frisch am Start zu erscheinen, hatten sich die meisten Teilnehmer entschieden, die Nacht an Ort oder in Chur zu verbringen. Als letzter stiess Reiseleiter David Accola zu uns, der sich nicht gescheut hatte, seine Wahlheimat im Emmental um 4.30 Uhr zu verlassen.

Angeregte Diskussionen über gemeinsame Erlebnisse anlässlich vergangener GMS-Reisen liessen die Fahrt durchs Prättigau und den Vereinatunnel nach Zernez im Nu vergehen. Da stiessen unser Fahrer Ürsu (Urs) Bigler mit privatem Pinzgauer 6×6, „Prinz“ genannt, unser Koch Danu (Daniel) Neuenschwander, gewesener Siehen-Wirt im Eggiwil und der 11. und letzte Teilnehmer zu uns. Bevor es Ernst wurde, nahmen wir in der Ustaria a la Staziun noch einen Stärkungstrunk zu uns.

Die erste militärhistorische Station galt der Fortezza Rohan auf dem Hügel Chaschinas bei Susch. Im Rahmen des Dreissigjährigen Krieges versuchte der Oberbefehlshaber der Französischen und Bündner Truppen, der Hugenotte Duc de Rohan (1579 – 1638), mit allen Mitteln die Verbindungswege zwischen Habsburg-Österreich und Habsburg-Spanien durchs Engadin und das Veltlin zu sperren. In diesem Zusammenhang liess er im Mai 1635 an Stelle einer älteren Fluchtburg durch Jürg Jenatsch und seine Truppen in kürzester Zeit die noch gut erhaltene Fortezza errichten. Wir konnten uns selbst überzeugen, wie gut von hier aus die Wege aus dem Oberengadin, vom Flüela und aus dem Unterengadin kontrolliert werden können. Eindrücklich die dichte Reihe von zugespitzten Holzpfosten, Spätlingen, auf der Maueraussenseite.

Der Abstieg auf rutschigem Weg durch den lichten Lärchenwald und die anschliessende Durchquerung eines Sumpfes waren ein erstes Zeichen, dass diese Reise im Zusammenhang mit den körperlichen Anforderungen nach GMS-Standard Neuland betrat. Die Rückfahrt dem rechten Innufer entlang über Clüs nach Zernez illustrierte, wie die Benutzung einer Nebenachse mit mehrfachem Zeitaufwand verbunden sein kann. Auf der Ofenpassstrasse ging der Regen allmählich in dichtes Schneegestöber über. An stillgelegten Kalkbrennöfen vorbei, die dem Pass den Namen gaben, erreichten wir in Champsech die ehemalige Soldatenstube der Sperrstelle Ova Spin.

Bei heimeligem Holzfeuer wurden wir von Peter Roth und Irène Schultheiss mit lokalen Spezialitäten verwöhnt. Seit 3 Jahren empfangen sie in der Naturfreundehütte Chamanna Ova Spin Gäste. Herr Roth war im Hauptberuf Kaminfeger im Münstertal und während 32 Jahren im Nebenamt Nationalparkwächter. Als solcher ist er ein ausgewiesener Kenner des Klimas, der Flora und der Fauna des Parks. Beim schwarzen Kaffee gab er uns einige Kostproben seines reichen Wissens.

Anschliessend ging’s zu Fuss an äsenden Gemsen vorbei durch den frisch verschneiten Wald zu den Infanteriebunkern der Sperrstelle Ova Spin. Sie können aus geschützter Stellung gut die gegenüberliegende Passstrasse unter Feuer nehmen. Die Front des eindrücklichsten von ihnen (auch als der schönste Infanteriebunker der Schweiz bekannt) ist als mittelalterliche Burgruine getarnt. Im Gelände sind die Bunker mit einem sehr gut erhaltenen, geschlängelten Laufgraben verbunden. Zur Zeit der Entstehung zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurden solche Anlagen auch Karpatengraben genannt. Im Rahmen des Einsatzes der Grenztruppen am Umbrail stellte die Sperrstelle Ova Spin die 3. Linie dar (1. Linie Umbrailpass, 2. Linie Sta. Maria).

Wegen des anhaltend schlechten Wetters mussten wir auf die Wanderung an der linken Talflanke zur Alp Terza verzichten. Dafür konnten wir auf dem steilen, schmalen und abschüssigen Fahrweg die Fahrkünste unseres Chauffeurs bewundern. Auf 1843 m wurden wir von Monica Tschenett mit einer (der besten!) Bündner Nusstorte empfangen. Trotz der gut geheizten Stube mussten die meisten zum Aufwärmen mit einem Kaffeeschnaps nachhelfen. Im schneereichen Lawinenwinter 1951 wurde der ganzjährig bewohnte Hof zeitweise durch die Luftwaffe versorgt.

Im Kreisgerichtssaal in Sta. Maria empfing uns Claudio Gustin, ehemaliger Schulinspektor des Bezirks Engadin–Münstertal zu einem packenden Kulturvortrag. Um die Schönheit der Landschaften auf seinen Dias zu bestätigen, mussten wir bis am letzten Reisetag warten. Mit Stolz zeichnete er die 2008 beschlossene Zusammenlegung der 6 Gemeinden des Tales zur Talgemeinde Val Müstair nach. Auch die Verleihung des Titels Biosphärenreservat ans Tal zeugt von der Initiative der Talbevölkerung und ihrem Glauben an die Zukunft. Ein Überblick über die reiche Talgeschichte schloss seine Ausführungen.

Im Hotel Chasa Chalavaina (Calven Haus) in Müstair, dessen Grundmauern auf karolingische Zeit zurückgehen, ist die GMS ein gerne gesehener Gast. Schon anlässlich der Duc de Rohan-Reise von 1985 stiegen wir hier bei Jon Battist Fasser ab. Er führte die einzelnen Teilnehmer persönlich in ihr Zimmer, wo er jedem erklärte, was man machen dürfe und was nicht. Nach dem Tode seines Vaters hat er 1975 die Leitung des Hauses übernommen. Am Herd in der schwarzen Küche steht Ottavia, eine seiner 9 Schwestern. Menu und Wein werden von Joni Fasser bestimmt. Wir konnten uns nicht beklagen.

Samstag

Zu Beginn des 2. Tages gab uns David Accola im von ihm gestalteten Museum 14/18 im Gewölbekeller der Chasa Plaz in Sta. Maria eine gut dokumentierte Einführung in die Entstehungsgeschichte des Ersten Weltkrieges. 15 historische Panoramaaufnahmen sind die Prunkstücke der Ausstellung. Ein grossflächiges Relief der Umbrail – Stilfserjochgegend ist noch ein work in progress. Den Vorplatz des stattlichen Hauses ziert eine symbolreiche Steinskulptur. Drei von der Dreisprachenspitze eingeflogene aufrecht stehende Felsspitzen symbolisieren den Monte Scorluzzo, die Dreisprachenspitze und den Piz Umbrail, aber auch die drei Sprachen, Regionen und Kulturen. Der 6-zackige Stern aus Steinen am Boden steht für die Lombardei und das Veltlin, das Südtirol und das Vinschgau, Graubünden und das Val Müstair; die sechs Flächen zwischen den Zacken des Sterns repräsentieren die Fraktionen der Talgemeinde.

Wegen des 12. internationalen Fahrradtages auf dem Stilfserjoch war die Umbrailstrasse gesperrt. An der Verbotstafel vorbei machte sich unser Prinz mit Anhänger an die 1500 m Höhendifferenz. Im Anhänger befand sich die Kochkiste mit dem am Morgen von unserem Koch zubereiteten Spatz. Bei Schneetreiben und dichtem Nebel erreichten wir das 2757 m hohe Stilfserjoch. Trotz der unwirtlichen Witterung machten wir uns im zum Teil knietiefen Neuschnee auf den Weg. Am Passo delle Pratigliole entschieden sich einige ältere Semester zur Rückkehr. Die anderen hielten Kriegsrat. Da sprach Yvonne Kohler, die einzige Frau in der Gruppe, ein Machtwort: „Wir gehen.“ Was blieb da den 6 Männern anderes übrig, als im immer tiefer werdenden Schnee weiter zu stapfen?

Auf dem 3094 m hohen Monte Scorluzzo riss der Wind die Wolkendecke für einige Minuten auf. Endlich konnten wir die Stellungen der beiden Gegner einsehen. Der Gipfel, auf dem wir standen, hatte im Laufe der Kriegsjahre nur zweimal den Besetzer gewechselt. Allerdings wurden auf italienischer Seite über 60 Versuche unternommen, diese Zahl auf drei zu erhöhen. 80% der Verluste waren auf Krankheiten, Kälte und Lawinen zurückzuführen. Obwohl die Temperatur nur um Null Grad lag, konnten wir uns lebhaft vorstellen, unter was für menschenunwürdigen Bedingungen die Kämpfe hier oben geführt wurden. Diese Besteigung des Monte Scorluzzo setzt für zukünftige GMS-Reisen im Hochgebirge neue Massstäbe.

Bei der Blockhütte Val Gronda stillten wir unseren Appetit mit dem wohlverdienten Spatz, teils auf den Längsbänken des Prinz sitzend, teils stehend unter einem notdürftigen Regenschutz. Das zarte Fleisch mundete köstlich. Nach einem kurzen Kaffeehalt in der Alpenrose in Plattatschas dislozierten wir ins Hotel Chasa de Capòl in Sta. Maria. Dort empfingen uns Vater Ernst T.A. Schweizer und sein Sohn Ramun. Grosszügig wurden uns belegte Brötchen und auserlesene Weine gereicht, bevor Vater Schweizer in grossem Bogen zur 1000-jährigen Geschichte des Hauses ausholte. Leider würde eine Zusammenfassung der sehr interessanten Ausführungen den Rahmen dieses Berichtes sprengen. Den freien Abend nutzten viele nur noch, um sich von den Strapazen des Tages zu erholen.

Sonntag

In der Schlacht an der Calven kämpften am 22. Mai 1499 im Schwabenkrieg Bündner Treppen unter Benedikt Fontana gegen österreichische unter Kaiser Maximilian. Der Legende nach soll sich Fontana am Vorabend der Schlacht von der Terrasse der Chasa Chalavaina an seine Truppen gewandt haben. Man kann sich für einen Reiseleiter kaum einen besseren Platz zur Schlachtbeschreibung vorstellen, als die Hügelkuppe südlich von Taufers. Das Engnis der Calven, die Stellungen der Hauptharste, die berühmte Umgehung der Bündner, die Fluchtwege der Österreicher – alles war zum Greifen nah. Auch einige von Mussolini Richtung Norden gebaute Riesenbunker aus dem Zweiten Weltkrieg waren zu sehen. Ein Besuch im idyllischen Städtchen Glurns beschloss unseren Abstecher ins Vinschgau.

Die Führung im Benediktinerinnen-Kloster St. Johann in Müstair durch Marcus Malgiaritta wurde zu einem weiteren Höhepunkt unserer ereignisreichen Reise. Schon früh mit dem Kunstwerk vertraut (als Ministrant musste er an hohen Feiertagen bis viermal täglich Kirchendienst leisten), entwickelte er sich über die Jahre zum ausgewiesenen Kenner der Klosteranlage. Vom karolingischen Bau mit seinen einzigartigen Fresken bis zur Neuzeit führte er uns mit viel Herzblut durch die Jahrhunderte. Sein anregender Vortrag löste auch manche interessante Diskussion mit den Teilnehmern aus.

Bei der Weiterfahrt nach Fuldera konnten wir endlich unter strahlend blauem Himmel die Schönheit des Tales bewundern. Im Hotel Stailas wurden wir von Annina Wymann ein letztes Mal mit einheimischen Spezialitäten fürstlich bewirtet. Die köstlichen Capuns bleiben in besonders guter Erinnerung. Wo immer wir auch einkehrten, wir stiessen immer auf herzliche Gastfreundschaft. Nach dem Kaffee schwangen wir uns ein letztes Mal auf die Ladebrücke des Prinz, der uns in gemächlichem Tempo über den Ofenpass zurück nach Zernez brachte. Bereichert durch viele neue Eindrücke, konnten die Teilnehmer pünktlich die Heimreise antreten.

Dem Reiseleiter David Accola sei hier ein besonderer Dank ausgesprochen. Mit der Val Müstair-Reise hat er einen neuen GMS-Reisetyp geschaffen, der sich irgendwo zwischen Militärdienst und klassischer GMS-Reise einstufen lässt. Auf dass es in Zukunft weitere Reisen dieser Art gebe!

Text: Claus Bally (Conches)