Thema: Das Ende des Ersten Weltkrieges

Samstag, 08. November 2014, 0945 – 1200 Uhr, Universität Zürich Zentrum KOH B-10

mit Referaten von Hans Rudolf Fuhrer, Rudolf Jaun und Anton Pelinka

130 Teilnehmende folgten dem zweiten Teil der GMS-Vortragsreihe zum Ersten Weltkrieg. Behandelt wurden mit der Oberstenaffäre (Hans Rudolf Fuhrer) und dem Landesstreik (Rudolf Jaun) die beiden wichtigsten innenpolitischen Krisen der Schweiz. Im dritten Beitrag ging Anton Pelinka der Frage des „verfehlten Friedens“ von 1918 nach.

Die im Januar 1916 durch die Presse bekannt gewordene Oberstenaffäre verursachte einen grossen Wirbel, wie Hans Rudolf Fuhrer in seinem Referat darlegte. Seit Herbst 1915/16 war die Stimmung zwischen der Romandie und der Deutschschweiz aufgeheizt. Der Skandal kam heftig und unvermittelt. Zwei Obersten sollen zugunsten der Zentralmächte Landesverrat gemacht haben, lautete der Vorwurf. Ausgelöst wurde die Affäre durch den Dechiffrierer Dr. André Langie aus Lausanne. Dieser war wegen zu kurzem Brustumfang militärdienstuntauglich. Dennoch wurde er wurde im September 1914 im Generalstab angestellt und entschlüsselte Geheimschriften. In den Akten, die er übersetzt hatte, bemerkte er, dass die Deutschen Kenntnis von den Inhalten der Bulletins des Schweizer Generalstabs hatten. Er wandte sich, nachdem er bei seinem Vorgesetzten, der in die Affäre involviert war, kein Gehör gefunden hatte, an Bundesrat Decoppet. Heute würde man ihn einen Whistleblower nennen. In einem welschen Radfahrerkurier, der seinen Aussagen zufolge das tägliche Nachrichtenbulletin dem österreichischen und dem deutschen Militärattaché bringen musste, gab es noch eine zweite Quelle. Bundesrat Decoppet und der General wollten kein grosses Aufhebens machen und betrauten beide beschuldigten Obersten mit neuen Aufgaben. Doch die Vertuschungsaktion misslang. Welsche Parlamentarier wurden aufmerksam und steckten die Affäre der Presse. Mit der Publikation am 14. Januar 1916 in der „Sentinelle“ brach der Sturm los. Die sozialdemokratische Berner Tagwacht von SP-Nationalrat Robert Grimm nahm die Geschichte auf. Am 28. Januar 1916 kam es zum Prozess am Obergericht in Zürich. Die Obersten waren der Weitergabe des Nachrichtenbulletins an die Zentralmächte angeklagt, wurden aber freigesprochen und lediglich durch den General mit 20 Tagen Arrest disziplinaisch bestraft und zur Disposition gestellt. Frankreich übte Druck auf Bern aus. Die politische Aufarbeitung fand in der Frühjahrssession 1916 statt. Aus der Oberstenaffäre, die die Schweiz entzweite, leitete Hans Rudolf Fuhrer mehrere Folgerungen ab, darunter, jene, dass die Glaubwürdigkeit der Neutralität nie durch die Schweizer, sondern in fremden Regierungen und Generalstäben entschieden wird und dass eine innenpolitische Zerstrittenheit und Polarisierung, wie sie damals herrschte, die Neutralität unwirksam und ist gefährlich macht.

Landesstreik

Den Versuch einer Neuinterpretation des Landesgeneralstreiks nahm Prof. Dr. Rudolf Jaun vor. Zwar gab es bereits zwischen 1880 und 1913 36 Einsätze bei Betriebsstreiks. Doch während des Ersten Weltkrieges nahm die Zahl der Streiks und der Gewerkschaftsbeitritte zu. Die Schweizer Armee wurde von der sozialdemokratischen Presse skandalisiert und das Offizierskorps als Instrument des Klassenkampfs dargestellt. Nach einer Krawallnacht in Zürich forderte der Regierungsrat Ordnungsdienstruppen. Die damalige Führung der Sozialdemokraten war marxistisch orientiert. Das Fanal der Oktoberrevolution in Russland 1917 schürte in der Schweiz Revolutionsängste, aber auch naive Hoffnungen. Unter der Leitung von SP Nationalrat Robert Grimm bildete sich das Oltener Komitee. Der Bundesrat bildete eine Landesstreikkommission, der Generalstabschef machte eine Studie über Gegenmassnahmen. Bereits von November 1917 an war in Zürich ständig ein Bataillon stationiert. Der Generalstreik entstand damit nicht aus dem Leeren. Am 29. Oktober 1918 rief die sozialdemokratische Partei der Schweiz anlässlich des 1. Jahrestages der russischen Revolution zur Gedenkfeier auf. Im November 1918 spitzte sich die Situation zu. Der Streik – so die These des Referenten – kam deshalb zustande, weil die Eisenbahner mitgemacht haben, ansonsten es bei lokalen Aktionen geblieben wäre. Auch die präventive Belegung Zürichs als Mittel der Einschüchterungsstrategie führte mit zum Generalstreik. Das massive Truppenaufgebot und der Druck der radikalen Arbeiterunionen führte zu einer Vergiftung des politischen Klimas.

Der verfehlte Friede von Versailles

Der Erste Weltkrieg, der sich innert weniger Tage vom lokalen Konflikt zwischen Serbien und Österreich-Ungarn zum europäischen und schliesslich zum Weltkrieg steigerte, ist für das Verständnis des Zweiten Weltkrieges und den weiteren Verlauf der Geschichte entscheidend. Diesen Befund bestätigte der international bekannte Politologe und Historiker Prof. Dr. Anton Pelinka von der Central European University Budapest. Es war so was wie ein unvollkommen demokratischer Krieg. Fast alle Akteure agierten im Rahmen der Verfassungen, die den Kriegsausbruch nicht verhindert haben. Demokratische Kriege sind leicht zu beginnen, aber schwer zu beenden. Das macht das Kriegsende von 1918 deutlich. Der Anspruch von US-Präsident Wilson war es, den Krieg „überflüssig“ zu machen. Darin lag die Widersprüchlichkeit des Friedens. Die Verträge von 1919 brachten keine stabile Friedensordnung. Es folgten neue Kriege wie z.B. in Russland, Italien-Jugoslawien, Rijeka, aber auch der griechisch-türkische Krieg oder die Kriege Italiens in Abessinien und Japans in China. Diese Kriege zeigten, wie verfehlt der Friedensschluss war. Die Ursacheen des Scheiterns waren vielfältig:

  • Es war ein globaler Krieg, aber die Akteure taten so, als ob es ein europäischer Krieg war.
  • Mit dem Ausscheiden Russlands und mit dem Ignorieren der UdSSR (Selbst- und Fremdisolierung) konnte ein wesentlicher Teil von Europa und Asien nicht erfasst werden. Zwar konnte Polen wieder gegründet, aber die Grenzen im Osten Polens konnten nicht definiert werden. Der fehlende Faktor Russland ist ein wichtiger Aspekt des gescheiterten Friedens.
  • Wodrow Wilson wurde in seiner globalen Rolle masslos überschätzt. Die USA waren zwar entscheidend in der Friedensbildung, haben sich aber dann herausgenommen und von der Umsetzung des Friedens verabschiedet.
  • Dies führte zum revisionistischen Groll, der vor allem in Deutschland eine Rolle spielte. Versailles wurde zum Schlachtruf der Nationalisten und als der schlimmste Vertrag aller Verträge diabolisiert.
  • Es gab ein Groll der Siegermächte. Zwar gehörte Italien zu den fünf Grossen, fühlte sich aber zu kurz gekommen. Mit dem Aufstieg von Mussolinis kam es 1935 zum Überfall auf Abessinien, was das Ende des Völkerbundes einläutete.
  • Die Motive der führenden Mächte waren territoriale und wirtschaftliche Gewinnabsichten. Am Ende stand ein Gemenge von idealistischen Ansprüchen und Machtumsetzungen der Siegermächte gegenüber den Verlierern.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Welt gelernt und das Denken in nationalen Kategorien überwunden. Es gab keine territorialen Forderungen mehr an Deutschland. Im Osten war die Situation etwas anders. Der erste Weltkrieg ist mit grossem Optimismus zu Ende gegangen und der Frieden scheiterte. Am Ende des Zweiten Weltkrieges operierten die Siegermächte geschickter.

Dieter Kläy