Thema: Schlüsseljahr 1815 – Wiener Kongress

Samstag, 07. November 2015, 0945 – 1300 Uhr, Universität Zürich Zentrum KOH B-10

mit Referaten von Hans Rudolf Fuhrer, Jean-Marc Hochstrasser, Jürg Keller und Manfried Rauchensteiner

Schlüsseljahr 1815 – das Thema der GMS-Herbsttagung 2015 vermochte fast 200 Interessierte anlocken. Die Schlacht bei Waterloo und der Wiener Kongress waren international wichtige Ereignisse. Der Feldzug ins Burgund und die Geburt der Schweizer Fahne Meilensteine aus Schweizer Optik.

Die Schweiz gab 1815 ein uneinheitliches Bild ab, wie der Historiker und Fachhochschuldozent Jean-Marc Hochstrasser darlegte. Bern erhob Anspruch auf den Aargau und die Waadt, Uri wollte Teile des Tessins und Zug das Freiamt. Nidwalden verweigerte den Beitritt zur Eidgenossenschaft. Militärisch hatten die Kantone Truppen von unterschiedlicher Qualität. Nach der Rückkehr Napoleons nach Frankreich wählte die Tagsatzung den Glarner Niklaus von Bachmann zum General und mobilisierte bis zu 60‘000 Mann. Gegen Napoleon wurden entlang der Juragrenze zwischen Genf und Basel aufgestellt, die Schweizer Regimenter aus Frankreich zurückberufen. Als Reaktion auf die Konvention der Alliierten vom 20. Mai 1815 schloss Frankreich seine Grenzen. Bachmann bekam «Hilferufe» von Bewohnern der Grenzregionen der Freigrafschaft Burgund und intervenierte militärisch. Als gemeinsames Erkennungszeichen für die kantonalen Truppen mit unterschiedlichen Uniformen diente die eidgenössische Armbinde.

Prägendstes Ereignis dieser Zeit war aber die Schlacht bei Waterloo, die Napoleon gegen die Preussen unter Blücher und die Engländer unter Wellington verlor. Am 18. Juni 1815 fielen die Würfel. Napoleon musste sich zurückziehen, kehrte am 21. Juni nach Paris zurück und wurde nach auf St. Helena verbannt. Seine Idee, Europa zu unterwerfen, scheiterte. Dabei verfolgte Napoleon gemäss Hans Rudolf Fuhrer drei militärische und mit der Kontinentalsperre gegen England eine wirtschaftliche Strategie. Napoleon war aber nicht nur der Militärstratege, sondern hinterliess auch sein Erbe in der Bildung des modernen Staates und seiner Gesetzgebung.

Die Geschichte der Schweizer Fahne ist eng mit der damaligen Zeit um 1815 verbunden, wie Brigadier aD Jürg Keller ausführte. Bereits das Bundessiegel vom 16. Mai 1814 umfasste ein weisses Kreuz in einem roten Feld. Als Feldzeichen diente es bereits in der Schlacht bei Murten. Die kantonalen Banner blieben sehr uneinheitlich. Mit der Armbinde von General Niklaus von Bachmann wurde 1815 die Grundlage zum Schweizer Wappen gelegt. In der Julirevolution von 1830 störte sich Dufour ebenfalls an der Tatsache, dass jeder Kanton seine eigene Fahne und Uniform hatte. Zeigte 1831 die Tagsatzung noch kein Interesse an einem einheitlichen Wappen, stimmte 1840 eine Mehrheit der Kantone dem Schweizer Wappen zu. 1841 gab es das erste Kreisschreiben mit Weisung und Zeichnung von Carl Stauffer aus Bern. 1890 wurden die Proportionen des Kreuzes gesetzlich festgelegt. Dank der Armee hatte die Schweiz 8 Jahre vor Gründung des Bundesstaates bereits eine Fahne.

Wer annimmt, der Wiener Kongress sei eine gesittete, gut vorbereitete Konferenz nach heutiger Vorstellung gewesen, irrt. Der österreichische Historiker Manfried Rauchensteiner gab einen Einblick in die Sitten und Gebräuche. Der Kongress dauerte von Oktober 1814 bis Anfang Juni 1815 und war anfänglich wenig strukturiert. Es wurden Feste gefeiert, ein freizügiges Leben geführt und lange über Formen und Konventionen gestritten. Kongresspräsident Fürst Metternich liess alle Tagungsräume abhören, weshalb heute viele Details bekannt sind. Besonders heikle Themen waren Polen und Deutschland. Russland wollte sich gegenüber Polen wieder als Teilungsmacht etablieren. Metternich strebte ein föderatives Mitteleuropa an und wollte die Russen draussen haben. Zar Alexander forderte territoriale Zugewinne und war sein Gegenspieler. Die Schlussakte umfasste 121 Artikel. Neben Territorialfragen wurde auch über Sklaverei, Urheberrecht und Kunstschätze debattiert. Napoleon raubte rund 5000 Kunstgegenstände, die zum grossen Teil zurückgegeben wurden. Etabliert hat sich eine neue Art von Konferenzdiplomatie. Hauptnutzniesser war Deutschland. Frankreich wurde auf die Grenzen von 1790 zurückgesetzt. Für die Schweiz fielen Genf und Neuenburg ab. Nichtsdestotrotz konnte die Schlussakte nichts Endgültiges schaffen. Immerhin markierte der Wiener Kongress eine Epochengrenze wie der westfälische Frieden von 1648 oder die Verträge von Versailles nach dem ersten Weltkrieg.

Dieter Kläy, Vorstandsmitglied GMS