Ein kleines Volk behauptet sich …

Inhalt aktualisiert am 05.08.2023
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ZUM REISEBERICHT VON URS URSPRUNG

ZUR BILDSTRECKE

Reiseleitung: Fritz Lehmann, Winterthur

Sechs Reisetage

Erster Teil einer neuen Reisetrilogie zu den Kriegen Finnlands


Thematische Umschreibung


Mit einem Bären schlafen? Lieber nicht, doch die Finnen haben keine Wahl. Seit Urzeiten kämpften sie zuerst gegen die «Nowgoroder» und «Moskowiter», dann gegen die zaristischen Russen und rangen sie mit der Sowjetunion. Dieser fortdauernde Widerstand gegen Osten ist ein Teil der finnischen Seele. Aber nicht nur von dort stand das Land allzeit unter Druck, denn es hat eine gemeinsame und kriegerische Geschichte mit Schweden, einem der Erzrivalen Russlands. Auch Deutschland kämpfte auf finnischem Boden, und zwar im Freiheits- und im Zweiten Weltkrieg. Nun flackern die alten Ressentiments zwischen den Skandinaviern, vorab den Finnen, und den Russen wieder auf. Der Ostseeraum ist zum Spannungsgebiet geworden und der russische Bär zum Problembären.

Finnische Jagdpatrouille, Winterkrieg 1939

Der Reiseverlauf
Auf dieser Reise wird eine Übersicht über die Militärgeschichte Suomis vermittelt, wir befassen uns mit den «Kriegen unter der Mitternachtssonne», dabei wird die aktuelle strategische Lage nicht zu kurz kommen. «Kultursplitter» werden in die Reise eingestreut, zum besseren Verständnis der finnischen Völker. Wir begegnen finnischen Offizieren und befassen uns mit Marschall Mannerheim sowie dem «Retter Finnlands», seinem tüchtigsten General, Finnlands tüchtigster General? Sein Name wird an dieser Stelle nicht verraten, doch Sie werden staunen, denn er war Schweizer!

Auf den recht langen Busfahrten vertiefen wir uns in die finnische Kriegsgeschichte vorab des letzten Jahrhunderts. Der Bürgerkrieg, der Winter- und Fortsetzungskrieg werden die beherrschenden Themen sein. Strategische, operative und taktische Fragen und Antworten werden nicht zu kurz kommen. Dazu erleben wir die frühsommerliche Natur Südfinnlands und Kareliens.

„Tervetuola!“ – Willkommen im Land der tausend Seen!

Reiseprogramm


Montag, 19. Juni – erster Reisetag

Flug ab Zürich nach Helsinki. Wir starten in der finnischen Hauptstadt, wo uns ein finnischer Offizier in die aktuelle strategische Lage Finnlands einführt. Übernachtung.

Dienstag, 20. Juni – zweiter Reisetag

Wir fahren zum Infanterie- und Mannerheim-Museum nach Mikkeli. Führung mit der Museumsdirektion. Mittagessen in der Offiziersmesse der alten Infanterie-Kaserne, wo Mannerheim und sein Stab jeweils gegessen haben. Nachmittag: Weiterfahrt nach Savonnlinna (internationaler Festspielort). Hotelbezug für zwei Nächte. Unterwegs beschäftigen wir uns mit dem Leben von Marschall Mannerheim und der Geschichte der finnischen Völker. Abend zur freien Verfügung.

Mittwoch, 21. Juni – dritter Reisetag

Wir begutachten einen Teil der Riegelstellung «Salpalinjien» bei Rikuu, Weiterfahrt via Kerimäki, wo wir die weltweit grösste Holzkirche besichtigen, dann nach Punkaharju. Es handelt sich um einen geologischen Leckerbissen und zaristischen Sommerfrischler-Ort. Mittagessen im Raum Punkaharju. Nachmittag: Wir besichtigen die Olavinlinna, eine Grenzbefestigung des alten Schweden. Unterwegs erfahren wir, weshalb lokaler Emmentalerkäse keine kulturelle Aneignung der Finnen ist. Karelischer Abend auf dem Saimaa-See.

Olavinlinna: umkämpfte Festung, Grenzposten, Gefängnis und heute Kulturort

Donnerstag, 22. Juni – vierter Reisetag

Auf nach Joensuu, dem Hauptort Finnisch-Kareliens. Besuch des alten Bunkermuseums. Rückfahrt in die Stadt und tummeln im Carelicum (karelisches Museum). Mittagessen: Individuell. Nachmittag: Verschiebung nach Lappeenranta, wo wir der Festung Willmansstrand einen Besuch abstatten. Unterwegs lernen wir das erstaunliche Leben von Finnlands tüchtigstem General kennen. Gemeinsames Abendessen.

Festung Lappeenranta mit 90 cm Kanonen und dem Karelienmuseum im Hintergrund

Freitag, 23. Juni – fünfter Reisetag

Am nächsten Morgen begeben wir uns an die russische Grenze und besuchen das brandneue Bunkermuseum in Virolahti. Dann Weiterverschiebung nach Hamina, der alten Festungsstadt. Mittagessen: Offizierskantine «Wanha Veteraani». Besuch der beiden Museen der «Alte-Veteranen» (UN Missions) und Reserveoffiziere. Nachmittag: Rückfahrt nach Helsinki. Unterwegs machen wir uns vertraut mit der russischen strategischen Denkweise. Abend: Farewell-Dinner (finnisch oder russisch).

Hamina – Festungsstadt und Standort der Reserve-Offiziersschule.

Samstag, 24. Juni – letzter Reisetag

Am Morgen des letzten Tages besuchen wir das finnische Gibraltar, die Festung Suomenlinna, draussen in den Schären (UNESCO-Welterbe). Mittagsverpflegung individuell. Nachmittag: Heimflug.

Suomenlinna – das finnische Gibraltar und UNESCO Welterbe. Gefangenenlager im Bürgerkrieg

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Der Reisebericht

Beitrag von Urs Ursprung mit Bildern vom Autor und von Stefan Gubler

Reiseroute

Die Rundreise durch den Südosten Finnlands begann und endete in Helsinki. Sie führte zuerst Richtung Nordosten nach Savonlinna. Von dort wurden mehrere Exkursionen in den nördlichen Teil vom Finnisch-Karelien unternommen. Der nördlichste Punkt der Reise war die alte karelische Hauptstadt Joensuu. Rückfahrt in den südlichen Teil von Finnisch-Karelien parallel zur russischen Grenze bis Virolahti. Von dort entlang der Südküste über Hamina zurück nach Helsinki.

Erster Tag: Zürich – Helsinki

Nach der Landung kurze Stadtrundfahrt mit der kompetenten Führerin Claudia S. Jeltsch. Besuch des lutherischen Doms und Blick auf Senatsplatz mit der Statue von Zar Alexander II (ermordet 1881) in der Uniform des Grossfürsten von Finnland.

Helsiniki, Senatsplatz mit Statue Zar Alexander II und Dom

Die Finnen achteten ihn, weil er tolerant war und finnisch als Amtssprache des Grossfürstentums anerkannte. Eindrücklich trug Claudia Jeltsch das von ihr übersetzte Gedicht des Finnen Eino Leino aus dem Jahr 1917 (!) vor: «Gegrüsst seist Du, Ukraine! ….» Der Hafen, aus dem die Fähren normalerweise nach St. Petersburg auslaufen, war leer, auch am letzten Reisetag. Vortrag von Reiseleiter Fritz Lehmann zur aktuellen strategischen Lage Finnlands. Sie ist geprägt durch die Schifffahrtslinien auf der Ostsee und durch die Nähe zu Russland. Übernachten in Helsinki (auch am fünften Tag).

Zweiter Tag: Helsinki – Mikkeli – Savonlinna

In Mikkeli befand sich während über 20 Jahren und in allen Kriegen das HQ von Marschall Mannerheim.

Museumsdirektor Markku Riittinen (Oberst, ehemaliger Bridgadekommandant) führte durch das Infanterie- und Mannerheimmuseum in Mikkeli. Eine Sonderausstellung ist gegenwärtig dem finnischen Bürgerkrieg (1918) gewidmet. Markku Riittinen nahm auch am gemeinsamen Mittagessen teil, und zwar in der Offiziersmesse in russischem Baustil der alten Infanterie-Kaserne, wo Mannerheim und sein Stab jeweils assen. Anwesend auch Oberst i Gst Petteri Soini, Jäger- und Kampfgruppenkommandant. Er ist zweifacher Weltmeister im 200 m-Lauf, je in der Kategorie Ü50 und Ü55.

Offiziersmesse in russischem Baustil in Mikkeli, Mittagessen 20.6.2023

Besichtigung der Arbeitsräume von Mannerheim und seines Stabes in einem ehemaligen Schulhaus von Mikkeli. Der unterirdische Führungsbunker ist wegen mangelnder baulicher Sicherheit geschlossen worden.

Savonlinna am Saimaa-See ist dank seinem Opernfestival auf der Olafsburg international bekannt. Nachtessen in einem Restaurant direkt am Hafen. Übernachtung für zwei Nächte in Savonlinna.

Dritter Tag: Savonlinna – SALPA-Linie bei Raikuu – Punkaharju – Olvinlinna – Savonlinna

Der Tag der Sommersonnenwende bot ein vielseitiges Programm:

Besichtigung eines Abschnittes der Salpa-Linie (Salpa bedeutet Riegel) bei Raikuu (ca. 40 km nord-östlich von Savonlinna). Sie wurde nach dem Ende des Winterkrieges (1940) und vor dem Fortsetzungskrieg in nur einem Jahr errichtet und verläuft hinter der gut 1‘000 km langen Ostgrenze Finnlands. Die mächtigen Granitsteine («Toblerone-Steine») wurden aus dem ganzen Land herangeführt, aufgerichtet und tief eingegraben, eine titanische Leistung.

Salpa-Linie

Besichtigt werden in Raikuu können zwei Bunker, die auf einen Flussübergang wirken können, mit den dazu gehörenden Infanteriestellungen. Die Salpa-Linie wurde im Krieg nicht bezogen; ihre Existenz soll aber den russischen Generalstab im Sommer 1944 zur Einsicht gebracht haben, dass ein wei-teres Vorstossen zu teuer gewesen wäre. Man kann etwas von der Seele Kareliens und vor allem von der Härte des Kampfes um die karelische Landenge erahnen.

In Kerimäki (zu deutsch «Kleiner Berg») Besuch der weltweit grössten Holzkirche im nüchtern-lutherischen Stil.

Mittagessen und Besuch im eindrücklichen Forstmuseum LUSTO in der Stadt Punkaharju. In dieser Stadt befindet sich auch das liebliche Naturdenkmal «Os Punkaharju», ein geschwungener Moränen-Wall zwischen zwei Seen. Es war schon zu russischer Zeit (ab 1843) geschützt. Der letzte Zar liess dort für seine Frau (oder seine Geliebte?) eine Villa samt Bahnhof mit Direktverbindung nach St.Petersburg bauen; es ist allerdings nicht nachgewiesen, dass die Hoheiten die Bauten je nutzten.

Zurück in Savonlinna, Kletterei über die unbequemen Treppenstufen in der Burg Olavinlinna (Olafsburg), einst eine Grenzbefestigung des alten Schweden.

Olafsburg, Grundmauern schwedisch, Turmaufsätze russisch

Der Königssaal wurde nur zweimal von Königen besucht, einmal zur Schwedenzeit und einmal durch das heutige schwedische Königspaar anlässlich seines Besuches des Opernfestivals, das jährlich im Schlosshof gegeben wird. Der Besuch ist in guter Erinnerung, weil Königin Silvia beim Schlossrundgang den Absatz an einem ihrer Stöckelschuhe verlor.

Rundfahrt von Savonlinna aus auf dem Saimaa-See. Sehr schöne Abendstimmung und karelisches Nachtessen. Die aufmerksamen GMS-Reisenden aus der Ostschweiz sahen gar eine der sehr seltenen, gut getarnten Saimaa-Robben; diese hatten bei der Landbildung die Rückkehr ins Meer verpasst und können heute im Süsswasser leben.

Vierter Tag:  Savonlinna – Joensuu – Lapeenranta

In Joensuu, Hauptort Finnisch-Kareliens, Besuch des alten Bunkermuseums. Es ist ein Freiluftmuseum an einem Engnis in der Salpa-Linie (siehe zweiter Tag). Die beiden Bunker, die landende Gegner von der Seite her hätten beschiessen können, sind mit je 1 MG und 1 Pak-Kanone sowie mit vorbereiteten Schützengräben für den Infanterieschutz ausgerüstet.

Mittagessen in Joensuu und Besuch des nordkarelischen Museums «Carelicum» in neuen Gebäuden.

In Lapeenranta (schwedisch Villmannstrand) besichtigen wir die eindrückliche Festung Willmansstrand. Sie wurde von den Schweden erbaut und später zu einer grossen russischen Kaserne mit orthodoxer Kirche erweitert. Ein Gebäude beherbergt das kleine Kavalleriemuseum. Andere dienen der städtischen Verwaltung und Kultureinrichtungen. Übernachten und individuelles Nachtessen im Hotel Sokos im wenig belebten Lapeenranta.

Fünfter Tag: Lapeenranta – Virolathi – Hamina – Helsinki

Tag des Festes der Mitsommerwende

Peacekeeping-Einsätze Finnlands, Museum “Alte Veteranen», Hamina (Foto SG).
Wir fahren parallel zur russischen Grenze, zum neuen Bunkermuseum in Virolahti am südli-chen Ende der Salpa-Linie, nur 8 km von der heutigen russischen Grenze und ca. 200 km von St. Petersburg entfernt. Gruppenfoto zwischen den «Toblerone-Steinen».

GMS-Reisegruppe bei Virolahti, nahe südliches Ende der Salpa-Linie. Die Finnen verbau-ten innert kurzer Zeit über 40’000 Granitblöcke («Tobleronesteine»).

In der alten Festungsstadt Hamina befinden sich zwei interessante Militärmuseen. Im Museum «Alte Veteranen» wird an die vielen Peacekeeping-Einsätze Finnlands und an die finnische Miliz erinnert. Mittagessen in der Offizierskantine von «Wanha Veteraani», zubereitet von Peacekeeping-Veteranen. Nachmittag Besuch des Museums der Reserveoffiziere.

Peacekeeping-Einsätze Finnlands, Museum “Alte Veteranen», Hamina

Rückfahrt nach Helsinki, Nachtessen mit Blick auf die Statue von Alexander II und den Dom. Serviert wurden u.a. Bärenwurst und Elchterrine.

Sechster Tag: Helsinki (Suomenlinna) – Schweiz

Erst im russischen Grossfürstentum wurde Helsinki finnische Hauptstadt. Ein historisches Boot russischer Bauart segelt zur Festung Suomenlinna vor Helsinki (UNESCO WELTERBE), Militär- und Schifffahrtsmuseum. Riesige Anlage, eigentlich der historische Kern von Helsinki. Wurde als Konkurrenz zum damals dänisch beherrschten Tallinn, das knapp 90 km südlich liegt gebaut.

Reiseeindrücke

Paradiesisch ist der Eindruck von Finnland zur Zeit der Sommersonnenwende: Stahlblauer Himmel, unendliche, saftiggrüne Wälder, undurchdringliche Urwälder, liebliche Seenlandschaften (Finnland hat über 183’000 Seen), saubere Städte in nüchterner Architektur und angenehmes Reisewetter. Dass dieses Paradies während Jahrhunderten und ganz besonders im 20.Jh. von einer kaum überblickbaren Zahl von brutalen Kriegen heimgesucht wurde, lässt sich an den kräftigen Burgen und Forts mit schwedischen und russischen Bauteilen sowie an den Panzerhindernissen des 20.Jh. erahnen.

Finnland bei der Sommersonnenwende, Aufnahme bei Raikuu

Zwischen den Grossmächten an der Ostsee

Uns Schweizern ist kaum bewusst, welch grosse strategische Bedeutung die Ostsee für die nordischen Länder und ganz besonders für Russland hatte und immer noch hat. Der Kampf der Grossmächte um die Beherrschung der Seewege auf diesem relativ schmalen Meerarm (Helsinki bis Tallinn nur 86 km) hat das Schicksal der Finnen stark beeinflusst.

Während über sechs Jahrhunderten (ca. 1150 – 1809) gehörten die Finnen zum schwedischen Reich. In neun meist jahrelangen Kriegen dienten sie den Schweden als mehrfach geschundene Schutzschilder gegen Russland und im Dreissigjährigen Krieg als gefürchtete Kavalleristen (Hakkapelitter genannt) auf dem ganzen Kontinent.

Während gut 100 Jahren (1809-1917) war Finnland ein russisches Grossfürstentum. Der Zar war in Personalunion Grossfürst von Finnland. Unter den ersten drei relativ liberalen Zaren war es eine gute Zeit; die letzten beiden Zaren versuchten, den Finnen die russische Kultur gewalt-sam aufzuzwingen. Die russische Oktoberrevolution ermöglichte Finnland die Unabhängigkeitserklärung (6.12.1917). Das junge Finnland musste seine Unabhängigkeit während über 25 Jahren in blutigen Kriegen gegen die Sowjetunion verteidigen und konnte dabei den grossen Teil seines Territoriums behaupten. Mit dem Beitritt zur Nato (4.4.2023) könnte ein neues Kapitel beginnen.

Auf der GMS-Reise sind die vielen komplexen Konflikte, in die Finnland hineingezogen wurde, übersichtlich behandelt worden. Als besonders eindrückliches Beispiel sei nachfolgend die Endphase des Fortsetzungskrieges im Sommer 1944 kurz beschrieben.

Behauptung im brutalen «Winterkrieg»

Im vorangegangenen «Winterkrieg» (1939 und 1940) versuchte die Sowjetunion Finnland in zwei Runden mit massiver Überlegenheit zu annektieren, im Einvernehmen mit Nazideutschland und gegen den Willen des Völkerbundes. Finnland erhielt von den westlichen Grossmächten keine Hilfe, weil sich diese gegen ihren Alliierten Sowjetunion gerichtet hätte. Finnland vernichtete zwar mehrere Sowjetdivisionen, musste aber am Schluss unter dem Druck der sowjetischen Massen wesentliche Gebiete, darunter grosse Teile von Karelien, abgeben. Über 400’000 finnische Karelier mussten fliehen. Zu Beginn des Krieges rollten die russischen Panzer zwar in grossen Mengen, aber recht tollpatschig (ohne Begleitschutz und Feuervorbereitung) nach Finnland. Aber die Russen lernten aus den hohen Verlusten und praktizierten gegen Ende auch ihre berüchtigte Feuerwalze. Dennoch, die Rote Armee wurde im Winterkrieg demaskiert und desavouiert.

Oberst Riittinen erläutert den sowjetischen Angriff im Winterkrieg 1939 und 1940

Pakt mit dem Teufel im «Fortsetzungskrieg»

Da weitere Angriffe der Sowjets befürchtet werden mussten, sah sich das geschwächte Finnland zur militärischen Zusammenarbeit mit Nazi-Deutschland gezwungen. Dieses übernahm die Verteidigung von Nordfinnland und lieferte mehrfach die dringend benötigten Waffen und das lebenswichtige Getreide. Zusammen mit Deutschland gelang am Anfang des sog. «Fortsetzungskrieges» (1941-1944) die Rückeroberung der im Winterkrieg verloren gegangenen Gebiete. In Überschätzung der eigenen Kräfte drang Finnland zusammen mit Deutschland weiter in russisches Gebiet vor und half damit indirekt bei der Belagerung von St. Petersburg. Da Finnland für einen Eroberungskrieg nicht gerüstet war, erlitt es besonders grosse Verluste, viel mehr als im «Winterkrieg». Solange die Deutschen in Russland standen, gab es eine Pause im «Fortsetzungskrieg».

Abwehrerfolg im blutigen Finale auf der Karelischen Landenge

Nach dem Sieg bei Stalingrad (deutsche Kapitulation 2.2.1943) begann die Sowjetunion mit Gegenangriffen auch auf Finnland. Im Juni 1944 löste die Rote Armee einen Grossangriff aus mit dem Ziel, die hartnäckigen Finnen aus dem Spiel zu nehmen. Die Verteidigung zwischen Onega- und Lagodasee hielt diesem Angriff Stand. Das Kommando in diesem erfolgreichen Abschnitt führte der finnische Generalstabschef (GSC) Karl Lennart Oesch (1892-1978), dessen Vater 1880 als Käser aus Schwarzenegg (Kt. BE) nach Finnland ausgewandert war. Am 10. Juni 1944 durchbrach die Sowjetunion überraschend die Südfront auf der Karelischen Halbinsel.

In grösser Not übertrug Feldmarschall Mannerheim seinem GSC Oesch das (Himmelfahrts-) Kommando über diesen zurückweichenden Frontabschnitt. Karl Oesch habe Nerven wie Stahl, begründete Mannerheim seinen Entscheid. Trotz zerschlagener Übermittelung gelang Oesch die Reorganisation des wankenden Abschnittes und die Integration der herbeieilenden Verstärkungen, darunter auch eine deutsche Panzerbrigade und Luftwaffenunterstützung. Gegen den ausdrücklichen Willen von Mannerheim nahm Karl Oesch die Verteidigung von der Vammelsuus – Taipale-Linie (VT) zurück auf die Linie Viipuri – Kuupersari – Taipale-Linie (VKT). Diese lehnte sich grösstenteils an natürliche Hindernisse an, befand sich aber hinter der prestigeträchtigen Stadt Wyborg (finnisch Viipuri, heute russisch Выборг).

Verteidigungslinien auf der Karelischen Halbinsel

Von einem estnischen Offizier erfuhr Oesch am Vorabend, dass der Grossangriff um 04:00 ausgelöst werde. Oesch setzte alles auf eine Karte und bombardierte zwei Minuten vor Angriffsbeginn mit der Luftwaffe und der Artillerie die Panzer in der Angriffsgrundstellung. Die sowjetischen Angriffskräfte konnten geschwächt und kanalisiert werden. Sie wurden in einem nur 12×18 km grossen Killingground bei Tali-Inhantala vor der von Oesch gewählten Verteidigungs-linie (VKT) eingekesselt und vernichtet. Oesch erklärte später, er hätte keinen Tag länger kämpfen können, da keine einsatzfähigen Soldaten mehr zur Verfügung standen. Es war nicht das erste Mal, dass der umsichtige Generalstabschef Karl Oesch als Kampfgruppenkommandant in hoffnungsloser Notlage Grosses leistete. Zu seinen Ehren steht In Schwarzenegg (bei der Haltstelle Schwarzenegg-Dorf) ein Gedenkstein, errichtet 2014 durch die Finnisch-Schweizerische Offiziersvereinigung.

Das Kriegsglück belohnte die mutigen Finnen. Unerwartet zog Stalin die Truppen ab, weil er erkannte, dass ein Stoss über Polen nach Deutschland schneller zum Sieg führen könnte. Eine Rolle bei der Beurteilung im russischen Generalstab soll auch der Respekt vor der noch nicht bezogenen, letzten finnischen Verteidigungslinie, der Salpa-Linie, gespielt haben.

Dank dem eindrücklichen Abwehrerfolg konnte Finnland als einziger Verbündeter der Achsenmächte mit Russland einen Separatfrieden aushandeln. Zwar musste es die eroberten Territorien allesamt wieder abgeben, Reparationszahlungen leisten und seine deutschen Waffenbrüder hinauswerfen («Lapplandkrieg» 1944/45). Aber Finnland blieb unbesetzt und kam nicht unter die Tyrannei hinter dem Eisernen Vorhang.

Finnland blieb unbesetzt, musste aber Gebiete abtreten (Aufnahme im Infanterie-Museum Mikkeli).

Finnische Erfolgsfaktoren

Wie kam es, dass das weit unterlegene Finnland nach jahrelangen und äusserst verlustreichen Kämpfen überhaupt in den Final kam und dort ein insgesamt befriedigendes Resultat erringen konnte? Genannt werden an erster Stelle der Todesmut und die titanische Anstrengung der Finninnen und Finnen. Sie stellten beispielsweise über 40’000 tonnenschwere Granitblöcke als Panzerhindernisse (auf der GMS-Reise «Toblerone-Steine» genannt) auf. Sie vernichteten Panzer im Nahkampf z.B. mit Pakgeschützen, gestreckten Ladungen unter den Turm, Brandflaschen oder gar mit Brechstangen. Sie wussten, dass zu jeder Sperre ein Flankenschutz gehört.

Unglaubliches leisteten die Jäger, die auf Skiern und im Sommer auf Fahrrädern (Balsam für das Herz des Berichterstatters!) weit hinter den feindlichen Linien Nachrichten beschafften und Kommandoaktionen ausführten. Die bescheidenen, drahtigen und leistungsfähigen Jäger zählen auch heute zu den Elitetruppen. In gleichen Zug werden auch die Frauen genannt. Sie erhielten als erste auf der Welt (1906) das aktive und passive Wahlrecht, leisteten als Freiwillige im Rahmen der Organisation «Lotta» Verteidigungsdienste und/oder hielten Wirtschaft und Produktion aufrecht. Die Finnen fühlen sich heute als das glücklichste Volk der Welt, trotz tiefen Löhnen, hohen Preisen und hohen Abgaben. Das rühre u.a. daher, dass die Finnen viel anspruchsloser seien als andere. Ihre persönliche und gesellschaftliche Resilienz dürfte die unsere auch heute noch bei weitem übertreffen.

Die Finnen beherrschten die Nachrichtenbeschaffung auf allen Stufen. Mit bescheidenen Mitteln organisierten sie den Kampf der verbundenen Waffen und insbesondere die rasche Schwergewichtsbildung mit ihrer traditionell starken Artillerie. Als weitere grosse Stärke erwies sich die Milizorganisation, die auch in hoffnungslosen Lagen auf allen Stufen immer wieder neue Lösungen hervorbrachte. Meisterhaft beherrschten sie die Auftragstaktik mit sehr langen Leinen.

Erlebnisreiche Reise

Dem Reiseleiter Fritz Lehmann gelang es auf den langen Busfahrten jeden Tag, die besondere strategische Lage Finnlands, die komplexen Zusammenhänge, das Gelände, die persönlichen Interessen der Entscheidungsträger, die Eigenarten der Waffen, den Pulverdampf der Schlachten, die Artilleriewirkung auf den finnischen Granitboden, die Lebensgewohnheiten und die Ernährung der Finnen anschaulich und lebendig darzustellen. Wenn örtliche Spezialisten unerwartet ausfielen, konnte er ihren Part aus dem Stand heraus kompetent übernehmen.

Leider können die Hauptkriegsschauplätze (z.B. die Mannerheim-Linie, Oeschs Abwehrraum Tali – Inhantala), die seit 1944 in Russland liegen, heutzutage nicht besichtigt werden. Es konnte aber im finnischen Teil von Karelien vergleichbares Gelände gezeigt werden, wenn auch im lieblichen Sommer, also nicht zur harten Winterzeit.

Die Reise war gespickt mit Überraschungen und Leckerbissen. Erwähnt seien das Mittagessen im jahrzehntlangen KP Mannerheims in Mikkeli, selbstverständlich mit der Lieblingsspeise des Feldmarschalls, die Rundfahrt auf dem Saimaa-See, die Geschichte der Schweizer Auswanderer, die Finnland das fetthaltige Käsen beibrachten, die Bärenwust und die Elchterrine usw.

Walter Grete dankt dem Reiseleiter Fritz Lehmann

Es ist erfreulich, dass Fritz Lehmann und die GMS weitere Reisen in andere Gegenden Finnlands vorbereiten. Seit Februar 2022 hat die Kriegsgeschichte Finnlands leider grosse Aktualität erhalten.

 100 Reisebilder von Stefan Gubler

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