Die ABC – Abwehr in der Schweiz – Ein Besuch bei den Spezialisten in Spiez

Inhalt aktualisiert am 10.12.2023
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ZUM REISEBERICHT VON GEORG SCHWARZ


Reiseleitung: Hanns Stauffer

Ein Exkursionstag

Neu aufgelegte Tagesexkursion


Thematische Umschreibung


Die Einsatz von Giftgasen zur Kriegführung erinnert unweigerlich an unsägliche Gräuel während des Krieges von 1914-1918; Hiroshima und Nagasaki im August 1945 sind gleichermassen Inbegriff für die bis dahin unvorstellbare Vernichtungskraft von nuklearen Waffen. Die Verfügbarkeit und insbesondere auch die Bereitschaft, Massenvernichtungsmittel zum Einsatz zu bringen veränderte das Kriegsbild und erforderte Massnahmen zum Schutz der Soldaten, aber vielmehr noch der Zivilbevölkerung.

Wie hat sich die Bevölkerung und die Armee auf einen möglichen Ernstfall vorbereitet?

In Spiez, dem Standort des Kompetenzzentrums ABC-KAMIR, wird uns die Geschichte von der Abteilung AC-Schutzdienst zum heutigen Kompetenzzentrum vorgestellt. Wir erhalten einen Einblick in die Massnahmen, die zur Abwehr und Detektion von ABC-Stoffen im VBS sowohl durch die Armee als auch durch den Bevölkerungsschutz wahrgenommen werden. Armeeseitig ist damit das Kompetenzzentrum ABC/KAMIR beauftragt, seitens des BABS ist dabei die nationale Alarmzentrale (NAZ) in Zürich und das weltweit anerkannte „Labor Spiez“ federführend.

Tagesprogramm


Individuelle Anreise nach Spiez; ab 0830 besteht die Möglichkeit mit militärischen Mitteln vom Bahnhof Spiez geführt zu werden. Auf dem Areal des Kompetenzzentrums ABC-KAMIR gibt es eine ausreichende Anzahl an Parkplätzen für den Fall, dass die Teilnehmenden mit dem Privatfahrzeug anreisen.

0900: Begrüssung im Theoriesaal durch den Reiseleiter, gefolgt von einführenden Referaten früherer und heutiger Verantwortungsträgern. Die Palette reicht von der Geschichte des AC-Schutzdienstes bis zum Aufbau und Betrieb des Kompetenzzentrums, über die Zusammenarbeit mit dem ABC-Labor Spiez bis hin zum aktuellen Stand der Ausbildung und Forschung. Nach dem Mittagessen in der Kantine erfolgt eine Begehung auf dem Gelände unter dem Titel „Vom alten Gasrüssel zum neusten ABC-Schutzmaterial“, ergänzt von einer Demonstration eines Minenräumgeräts, denn auch die Kampfmittelräumung (KAMIR) gehört ins Portfolio dieses überall anerkannten Kompetenzzentrums.

Der Abschluss des Besuchs ist gegen 1630 vorgesehen, ein Rücktransport auf den Bahnhof Spiez ist sichergestellt.

Der Exkursionsbericht von Georg Schwarz

Der Niesen – Hausberg des Kompetenzzentrums ABC-KAMIR

Die Teilnehmer wurden an einem wunderschönen Herbstmorgen von Durchdienern am Bahnhof Spiez mit dem DURO-Taxi abgeholt und ins Komp Zen ABC-KAMIR (Kompetenzzentrum ABC-Abwehr, Kampfmittelbeseitigung und Minenräumung) gefahren.

Effizient und unkompliziert – der Transport von Bahnhof Spiez ins Kompetenzzentrum

Oberst Daniel Widmer, Kdt Kdo KAMIR

Es wurden die verschiedenen Kampfmittel erklärt und die zur Beseitigung notwendige Ausrüstung vorgestellt. Die Bedrohungslage durch Kampfmittel wird in vier verschiedene Kategorien unterteilt:

Blindgänger haben kein Verfalldatum, und täglich kommen neue dazu. Es gibt bis zu 1000 Blindgänger-Meldungen pro Jahr.

Minen und Streumunition finden sich in den verschiedensten Gegenden der Welt, sie müssen entschärft und entsorgt werden. Die Entsorgung ist sehr aufwendig und wird im Falle des Ukrainekriegs ca. 100 Jahre dauern.

Improvised Explosive Devices (IED) zum Beispiel Autobomben und terroristische Bastel-Bomben. Die Herstellung solcher Bomben wird in verschiedensten Gebieten gelernt. Anschläge auf Bankomaten haben in der letzten Zeit zugenommen.

Munitionsdeponien: Diese waren in den 40er Jahren auch in der Schweiz aktuell und führten zu schweren Unfällen (Mitlödi), heute in der Schweiz sauber aufgeräumt. Gefährlich sind aber vor allem die ungeordneten Munitionsdepots und -verstecke.

Eine zunehmende Bedrohung besteht in vier Bereichen, nämlich bei Blindgängern und Minen, dann bei den improvisierten Kampfmitteln, denen keine Grenzen gesetzt sind und deren Herstellung von Terroristengruppen geschult wird. Eine zusätzliche Bedrohung geht schliesslich von Munitionsdeponien oder wilden Verstecken von Munition aus. Die Massnahmen zur Bekämpfung dieser Bedrohungen werden anhand von «Zeitstrahlen» erklärt. Diese heute im Kommando KAMIR (Kampfmittelbeseitigung und Minenräumung) zusammengefassten Aktivitäten gehen zurück einmal auf die «Feuerwerker», die schon vor der Gründung des Bundesstaates in Milizkompanien organisiert waren, dann auf die Mineure und während des Zweiten Weltkriegs auf den Luftschutz, der v.a. bei Notabwürfen von Flugzeugbomben z.B. in Rümlang zum Einsatz kam. Beim vierten Zeitstrahl geht es um die Aktivitäten der Gruppe Rüstung, die dann zum Festungswachtkorps verschoben wurden.

Nach wechselnden Unterstellungen ging KAMIR 2014 im Kompetenzzentrum ABC-KAMIR auf, welches 2018 aus dem Führungsstab der Armee in den Lehrverband Genie/Rettung/ABC integriert wurde. Im heutigen Kommando KAMIR sind alle Fähigkeiten vorhanden, die es braucht, um die genannten Bedrohungen zu bekämpfen. So kam es beispielsweise letztes Jahr zu tausend Einsätzen im Zusammenhang mit Blindgängern. Etwa 200 Blindgänger wurden gesprengt. Weiter verlangte die Räumung von Schiessplätzen, dass vor der Rückgabe alle Blindgänger entfernt werden. Gefragt ist die schweizerische Expertise zudem bei der UNO. Zurzeit laufen Minenräumungsaufträge im Sudan und im Ostkongo. Immer wieder gibt es Unterstützungseinsätze zugunsten der lokalen Polizei und Feuerwehr, z.B. wenn bei einer Brandbekämpfung alte Munition zum Vorschein kommt.

 

Oberst i Gst a D Mike Hächler (Kdt Komp Zen ABC-KAMIR 2004-2012)

In einem kurzen und amüsanten Exkurs stellte Oberst Hächler seinen persönlichen Werdegang dar und erwähnte bei dieser Gelegenheit die an die Teilnehmer abgegebene 291-seitige attraktive Dokumentation «Geschichte ACSD/ABC-KAMIR», welche die vielen Informationen auch für die Zukunft verständlich und greifbar macht. Dafür ganz herzlichen Dank!

Zurück zum Thema: Schon die Perser haben bei Belagerungen von Festungen giftige Dämpfe eingesetzt um die Verteidiger zu vernichten. Auch im privaten Bereich gibt und gab es zahlreiche Giftmorde. Im nahen Seftigen wurde am 3. Juli 1830 dafür eine Person sogar zum Tode verurteilt.

Während des Ersten Weltkriegs ist der deutsche Angriff mit Chlorgas im hart umkämpften Ypern in die Geschichte eingegangen. Dazu wurden schon eine Weile vor dem Einsatz über 5700 Gasflaschen vergraben. Dann blieb nur noch abzuwarten bis der Wind auf die richtige Richtung drehte. Selbst die Schweiz machte ab 1937 Versuche mit selbst produziertem Senfgas, die Bestände wurden aber 1946 vernichtet.

Auch gewisse Geheimdienste haben eine Vorliebe für Nervengift zur Lösung von internen Problemen. In einen breiteren Fokus der Öffentlichkeit rückte das Nervengift Nowitschok im März 2018 durch den Fall Skripal sowie im August 2020 durch den Fall Nawalny.

Die gezeigten Graphiken und der vorhandene Zeitstrahl erlaubte die Entwicklung bis heute mit den vielen Planungsschritten und Hindernissen zu verstehen.

Oberst i Gst Christian Arioli, Kdt Komp Zen ABC-KAMIR

Der Kommandant des Kompetenzzentrums begrüsst die interessierte GMS-Exkursions-Gruppe.

Warum gibt es die ABC-KAMIR? Oberst Arioli erläuterte anhand verschiedener Bilder die internationale Lage und die Bedeutung, dass auf diesem Gebiet die nötige Kompetenz vorhanden sein muss um die Soldaten und die Zivil-Behörden informiert und einsatzbereit zu halten. Die verschiedenen Szenarien, wie sich die ABC-Bereiche auf der Welt darstellen und welche Bedrohungen davon ausgehen, wurden ausführlich mit verschiedenen Beispielen erläutert.

Die Struktur der ABC-Verbände und die Aufgaben des Kompetenzzentrums wurde dargelegt. Dabei erweist sich die Verteilung der Aufgaben auf Spezialisten, Armee-Angehörige und Zivile Behörden als Vorteil.

Auch die eingesetzten Messvorrichtungen, Geräte, Radiometrie-Fahrzeuge, sowie die Messung von ABC-Gefährdungen durch Helis aus der Luft wurden erklärt. Ein eindrücklicher Film visualisierte die Einsatzarten und Aktivitäten der ABC-KAMIR.

Mit dem Labor Spiez steht ein international anerkannter Partner zur Verfügung. Das Labor Spiez ist das Eidgenössische Institut für den ABC-Schutz. Als Geschäftsbereich des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz befasst es sich mit den Gefährdungen durch ABC-Ereignisse und deren möglichen Auswirkungen. Das Labor Spiez wurde für seine herausragenden Leistungen in der globalen Chemiewaffenkontrolle und Nonproliferation mit dem renommierten OPCW-The Hague Award 2023 geehrt. Die Auszeichnung betont die Bedeutung des Labors bei der Umsetzung wichtiger internationaler Übereinkommen zur ABC-Rüstungskontrolle. Alle Länder der Welt sind Mitglieder der OPCW mit Ausnahme von Israel, Ägypten, Nordkorea und Süd-Sudan.

 

Major i Gst Philipp Grossenbacher, Kdt ABC Ber Det

Grossenbacher ging vorab auf die bisher gewonnenen Erkenntnisse aus dem Ukraine-Krieg ein. Nukleare Drohungen sind wieder en vogue geworden und dem Kommando Operationen wird jede Woche über die Situation im nuklearen Bereich Bericht erstattet. Dann folgte ein breiter und interessanter Überblick über organisatorische Belange, Ausbildung (Kurse, Lehrgänge), Fähigkeiten und vorhandene Mittel.

 

Dr. Marc Cadisch, Leiter Labor Spiez

Cadisch erläuterte vorab kurz seinen beruflichen Werdegang, dann schilderte er die Aufgaben und Tätigkeiten des Labor Spiez.

Das Labor Spiez ist eigentlich das Labor der Schweiz, das Labor aller Departemente. Das Labor wurde im Jahr 1925 gegründet als späte Antwort auf den Ersten Weltkrieg, bei dem es zu Einsätzen von Giftgas gekommen war. Die schweizerischen Bestände an Giftgas wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vernichtet. 1997 trat das Chemiewaffenübereinkommen in Kraft.

Heute verfügt das Labor Spiez über rund 110 Mitarbeiter. Diese Anzahl würde bei einem Grossereignis nicht ausreichen um die nötigen Messungen durchzuführen.  Die Zusammenarbeit mit der Armee ist deshalb besonders wichtig und hat sich im Falle von Tschernobyl bewährt. Seit dem Jahr 2000 besteht auch eine Kompetenz im Zusammenhang mit B-Ereignissen.

Kontrollaufgaben gibt es z.B. im Zusammenhang mit dem World Economic Forum, wo verhindert werden muss, dass Kampfstoffe in die Konferenz eingeschleust werden. Auch bei weiteren Konferenzen wurden die Dienste des Labors Spiez in Anspruch genommen.

Es folgte ein Einblick in die verschiedenen Fachbereiche:

Spiez dürfte das Labor sein, dass weltweit die meisten Proben im Zusammenhang mit den Chemiewaffenübereinkommen durchführte. Seit den Anfängen der Labors kann Spiez chemische Kampfstoffe selbst zu Testzwecken herstellen.

Die anfängliche Euphorie in den 90er-Jahren einer Abrüstung im C-Waffenbereich realisierte sich nicht. Insbesondere in Syrien kamen durch den IS und durch das syrische Regime C-Kampfstoffe zu Einsatz.

Es besteht eine Zusammenarbeit zwischen Spiez und dem forensischen Institut der Universität Zürich zur Durchführung von Abklärungen. Weiter wurden ukrainische Spezialisten im Zusammenhang mit der Analyse von Kampfmittelrückständen ausgebildet.

Spiez ist seit 2014 in der Lage aufgrund spezieller Überdruckanzüge sicher mit B-Kampfstoffen zu arbeiten. Gemessen wird auch im Ausland, so im Zusammenhang mit der Ebola-Viruskrankheit in Guinea.

Spiez ist zurzeit involviert in die Beschaffung von Schutzmaterial der Armee und in die Überprüfung der Funktionstüchtigkeit von Schutzanlagen.

Schliesslich kann Spiez seine Dienstleistungen international zur Verfügung stellen und ist dementsprechend gut vernetzt, was nicht zuletzt dem eigenen Wissen zugute kommt.

Nach einem guten Mittagessen in der Kantine wurden wir in zwei Gruppen aufgeteilt um die am Morgen vorgestellten Kampfmittel und Kampfmittelreste in Natura sehen sowie die im Unterstock des Hauptgebäudes gezeigte Sammlung von Kampfmitteln, Beseitigungsmassnahmen sowie alte und neue ABC-Aufklärungsmittel.

Geführt durch Oblt G. Jones, Kdo KAMIR, Chef Det 1, konnten wir die verschiedenen inerten Kampfmittel begutachten. Auch wurde uns ihre Entschärfung und Beseitigung (Sprengung oder Verbrennung) erläutert. Die Demonstration mit dem kleinen ferngesteuerten Roboter zur Aufklärung und zur Beseitigung der Kampfmittel war aufschlussreich. Der grosse Roboter kommt aus eine umgebauten Duro zum Einsatz. Er kann mit verschiedensten Werkzeugen und Kameras ausgerüstet werden.

Minenräumgerät der modernsten Generation

Erstaunlich war zu erfahren, wie gross die Sicherheitsentfernung zum Sprengen von Minen ist (120m).

Die Durchdiener führten uns an den einzelnen Stationen die ABC-Messmittel bzw. Probensammlung vor. Für die Messung der Radioaktivität waren die Geigerzähler, spezielle Personendosimeter und auch die Aufklärungs-Fahrzeuge vorhanden.

Anschauungsmaterial, präsentiert durch die Durchdiener des Kompetenzzentrums

Eine Probefahrt mit dem Eagle A-Aufklärungs-Fahrzeug war ein weiteres Highlight des Programms. Dieses Fahrzeug kann mit GPS-Daten und den Maps einen genauen Aufklärungs-Parcours erspähen und somit die A- Aufklärung verfeinern. Gemessen werden hier die Gamma-Dosiswerte in Sievert/h, oder kleineren Einheiten wie Micro-Sievert/h.

Die verschiedenen ABC-Schutz-Anzüge, in verschiedensten Schutzstufen, waren ausgestellt und man konnte so den Eindruck gewinnen, wie anstrengend ein Aufklärungs- oder Entgiftungsauftrag aussehen könnte.

Am Abend wurde die Teilnehmer der GMS -Reise wieder mit dem DURO-Taxi an den Bahnhof gebracht.

Dies war eine überaus interessante Exkursion zu – Gott sei Dank – nicht alltäglichen Themen. Unser herzlichster Dank geht an alle Beteiligten, im Besonderen an die Referenten.

Reisebericht: Kpl AC Uof a D Georg Schwarz

Links:
https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/aussenpolitik/sicherheitspolitik/abruestung-und-nonproliferation/chemische-waffen.html

 

 

 

 

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