Eine Waffengattung im Wandel der Zeit

Inhalt aktualisiert am 20.04.2024
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ZUM REISEBERICHT VON AKOS ZAY


Reiseleitung: Oberst a D Kurt Steinegger

Ein Exkursionstag

Erstmalig im Programm

Ein Truppenbesuch bereitet immer Freude und vermittelt exklusive Einblicke in die heutige Arbeit unserer Milizsoldaten. Also: anmelden!

 


Thematische Umschreibung


Im Ersten Weltkrieg zeigte sich, dass die Zivilbevölkerung zukünftig besser gegen Luftangriffe geschützt werden muss. In der Schweiz der Zwischenkriegszeit wurde unterschieden zwischen „aktivem Luftschutz“ (Fliegerabwehr) und „passivem Luftschutz“, zu verstehen als direkte Hilfe der Bevölkerung zum Schutz vor und nach Angriffen aus der Luft. 1936 wurde die Abteilung für Luftschutztruppen (ALST) im Eidgenössischen Militärdepartement gebildet. Bei Ausbruch der Kriegshandlungen 1939 war die Organisation weitgehend bereit, um die Bevölkerung beim Einrichten von Behelfsschutzräumen und bei den Verdunkelungsmassnahmen zu unterstützen. Wegen der blauen Überkleider nannte man sie den blauen Luftschutz. Nach dem Krieg wurde der passive Luftschutz wieder aufgelöst.

Uniform passiver Luftschutzangehöriger; Feuerwehrkorporal 1934 (links) und Sanitätssoldatin 1940 (rechts)

Als Bindeglied zum Zivilschutz in der Schweiz wurden die Luftschutztruppen 1951 mit einer Stärke von 35’000 Mann wieder ins Leben gerufen. Im Gegensatz zum „blauen Luftschutz“ des Zweiten Weltkriegs waren die Luftschutztruppen in der Zeit des Kalten Krieges infanteristisch bewaffnet und Teil der Schweizer Armee. Ihre Aufgaben waren Retten von Menschen aus Trümmerfeldern und Brandbekämpfung. Weiter wurden die Luftschutztruppen auch ausgebildet zur Dekontamination von Menschen, Material, Gebäuden und Strassen. Sie konnten eingesetzt werden zur Betreuung von Obdachlosen und Flüchtlingen.

Emblem der Rettungsschule 75

Mit der Reform zur Armee 95 erfuhren die Luftschutztruppen eine erste materielle Aufwertung. Die Bezeichnung der Truppengattung wurde dem weiter gefassten Aufgabenspektrum angepasst und lautete seither Rettungstruppen. Bis vor der Armeereform XXI gab es 23 Rettungsbataillone, nachher eine reduzierte Zahl von acht Katastrophenhilfebataillonen sowie einen Katastrophenhilfebereitschaftsverband, der innert Stunden in der Schweiz, aber auch im angrenzenden Ausland eingesetzt werden kann. Die Ausbildung von Rettungssoldaten erfolgt seit der Armee XXI im Lehrverband Genie/Rettung/ABC unter Ausnutzung von Gemeinsamkeiten mit den Genietruppen.

Programm


Anreisende mit dem Zug werden um 09.00 am Bahnhof Wangen a. d. Aare mit einem Militärfahrzeug abgeholt und ins Hotel Al Ponte transportiert. Anreisende mit dem privaten Fahrzeug fahren direkt zum Parkplatz des Hotels Al Ponte.

Begrüssung bei Kaffee und Gipfeli im Hotel. Anschliessend einführender Vortrag zum Exkursionsthema. Kurze Fahrt ins Übungsdorf des Waffenplatzes Wangen a. d. Aare. Begrüssung durch den Schulkommandanten. Vorstellung der Waffengattung und deren Einsätze in Verbindung mit der Rettungskette Schweiz. Anschliessend geführter Rundgang durch das Übungsdorf, mit Informationen und Erläuterungen zur laufenden Ausbildung der Truppe.

Das Übungsdorf in Wangen an der Aare

Apéro und Mittagessen im Hotel Al Ponte. Anschliessend Vortrag durch den Reiseleiter über seinen Einsatz als Chef Rettung der Rettungskette Schweiz in El Salvador 1986. In einem weiteren Referat behandelt er ein Thema, das 1976 die Schweiz erschütterte. Unter dem Titel «Mein Chef, Jean Louis Jeanmaire – Landesverräter des Jahrhunderts?» hat er den damaligen Spionageskandal hautnah miterlebt. Nach dem traditionellen (individuellen) „Abschlussbier“ Fahrt zum Bahnhof Wangen a. d. Aare oder individuelle Rückfahrt mit dem privaten Pw.

Der Reisebericht von Akos Zay


Der Berichterstatter hat 1970 die Sommer-Rekrutenschule, und danach die ganze militärische Karriere bei den Luftschutztruppen absolviert und ist daher, zumindest in groben Zügen, mit der Materie vertraut. Trotzdem, oder erst recht, war in allen behandelten Themen viel Neues von Kurt Steinegger zu erfahren. So wurde der ursprünglich zivile blaue Luftschutz (benannt nach dem Tenue-Blau), u.a. basierend auf den schmerzvollen Erfahrungen aus der Bombardierung von Schaffhausen 1944, 1951 in die Armee integriert. Dabei wurden die Formationen mit Schwergewicht den städtischen Agglomerationen zugewiesen. Ab Mitte der 70er Jahre wurde die Truppe sukzessiv in geschützten Unterkünften untergebracht, welche den Interventionskräften den Einsatz zu Gunsten der Zivilbevölkerung wesentlich verbesserte. Mit der Armee 95 wurden die Luftschutztruppen in Rettungstruppen umbenannt.

Mit der Armee XXI wurde der Bestand der Rettungstruppen fortlaufend reduziert. Von den ursprünglich 35 Bat sind nur noch vier Katastrophenhilfebataillone in den Territorialdivisionen und der, aus Durchdienern alimentierte Katastrophenhilfe Einsatzverband (Kata Hi Ber Vb) übrig geblieben. Letztere kann ganzjährig innert Stunden in Kompaniestärke für einen Einsatz aufgeboten werden. Neben Mitteln der Rettungstruppen verfügt dieser Verband zusätzlich über Gerätschaften, die ansonsten nur in den Genie-Bataillonen verfügbar sind. Klein aber effizient – diese Truppe!

Nach der Einführung durch den Reiseleiter durften wir den äusserst interessanten und überzeugenden Ausführungen des Schulkommandanten, Oberst i Gst Werder, unter dem Motto «Verteidigungsfähigkeit stärken» folgen. Er führt jährlich zwei Rekrutenschulen von je 400 Rekruten und fünfzig Unteroffizieren.

Die 21 Teilnehmenden vor dem Signet der Rettungstruppen auf dem Waffenplatz Wangen a/A. K. Steinegger, zu seiner Rechten der derzeitige Schulkommandant Oberst i Gst Wolfram Werder.

Nach der Verschiebung mit zwei Duro-Militärfahrzeugen konnten wir, begleitet von Oberstlt Rohrer, Kdt Stv, im seit 1972 bestehenden Übungsdorf die Truppe bei der Arbeit verfolgen. Erfreulich motivierte und professionell zu Werke gehende junge Leute! Zusätzlich zu den Rettungstruppen wird das Übungsdorf auch von anderen Truppen, zivilen Einsatzkräften, Feuerwehren usw. intensiv genutzt. Kostenoptimierungen sind auch hier ein Thema. Materialschonend werden beim «zerstörenden Einsatz» nur auswechselbare Bauteile (vorfabrizierte, mobile und einfach zu ersetzende Wand- oder Deckenelemente) beschädigt, und nicht mehr die halben Häuser.

Bei schönstem Wetter folgen die Teilnehmenden gebannt den interessanten Ausführungen des stellvertretenden Schulkommandanten, Oberstlt Andreas Rohrer.

Den hervorragend organisierten Aperitif und das feine Mittagessen durften wir im Hotel Al Ponte in Wangen a/A einnehmen, um dann programmgemäss ab 14.00 den weiteren Ausführungen von Kurt Steinegger zu folgen.

So gab er als damaliger Chef Rettung der Rettungskette Schweiz, sehr viel Interessantes und Persönliches aus seinem Katastropheneinsatz anlässlich des verheerenden Erdbebens 1986 in El Salvador bekannt. Er wurde als Mitarbeiter der Abteilung für Luftschutztruppen und erfahrener Luftschutz-Kompanie-Kommandant vor Ort mit unwahrscheinlichen Schwierig- und Widrigkeiten konfrontiert. Aber mit viel Glück, Können und dank den sehr engagierten Rekruten der damaligen Luftschutz RS 277 schliesslich doch zufriedener Lebensretter für zwei Personen aus den «crèmeschnittenartig» dicht komprimierten Trümmerhaufen eines grossen Warenhauses von ehedem sechs Stockwerken (komprimiert auf ~5 m Höhe!) belohnt. Dabei darf man jedoch nicht übersehen, dass für viele Verschüttete, welche wirklich Pech gehabt haben und auch nach fünf Tagen nicht erreicht werden konnten, jede Hilfe, trotz des erheblichen Aufwandes, zu spät kam. Nicht verwunderlich, dass diese negativen Bilder, verbunden mit kaum erträglichem Leichengestank, die Erinnerung an 100 Nachbeben pro Tag, und der leider nur sprichwörtliche Erfolgs-«Tropfen auf den heissen Stein», den Einsatzkräften lange nicht mehr aus dem Kopf gingen.

Zu guter Letzt schilderte der Vortragende während noch etwa einer Stunde seine per-sönlichen Erlebnisse zum Thema «Jean Louis Jeanmaire, Patriot oder Spion?». Der damalige Spionageskandal — aus heutiger Sicht eine unglaubliche Geschichte! Zweifellos war der ehemalige Waffenchef der Luftschutztruppen eine umstrittene Persönlichkeit, mit charakterlichen Mängeln aber auch höchst menschlichen Zügen. Im damaligen Spannungsfeld des Kalten Krieges (als überzeugter Gegner des Kommunismus) war er aber vermutlich niemals der Spion, als der er schlussendlich verurteilt wurde. So wurde er nach seiner Pensionierung 1976 beauftragt, eine Studie über den «Zivilschutz in aller Welt» zu erarbeiten. Um ihn dabei als vermutlichen Spion besser überwachen zu können, richtete man für ihn gleich beim Nachrichtendienst ein Büro ein. Als damaliger Bundesbeamter, Zeichner und Luftschutzoffizier war Steinegger ein Mitarbeiter mit direktem Zugang zum damaligen Waffenchef, und wurde von diesem für anstehende Arbeiten, wie das Erstellen von Vortragsunterlagen und Reglementen speziell ausgewählt. Trotz intensiver Überwachung Jeanmaires ergaben sich keine rechtsgenügenden Beweise für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit. Aber in der Untersuchungshaft gab er zu, mit dem sowjetischen Militärattaché Wassili Denissenko befreundet zu sein, legte jedoch trotz 33 Tage Isolationshaft sowie Verhören während 107 Tagen durch den Bundesanwalt (in der krankheitshalber erfolgten Verlegung in die geschlossene Abteilung des Inselspitals in Bern) nie ein umfassendes Schuldeingeständnis ab. Er gab allerdings zu, klassifizierte Unterlagen an die Sowjets abgegeben zu haben. Zugang zu streng geheimen Dokumenten hatte er allerdings nie. Nach heutigem Rechtsverständnis wurde er durch den zuständigen Vorsteher des EJPD, Bundesrat Kurt Furgler, in unzulässiger Weise vorverurteilt. In der Folge wurde Jeanmaire durch ein Militärgericht zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Alle eingereichten Revisionsverfahren wurden abgelehnt. Wegen guter Führung nach zwölf Jahren entlassen, verstarb Jean-Louis Jeanmaire vergessen und verarmt 1992 im Alter von 82 Jahren.

Das durchschnittliche Alter der 21 Teilnehmenden betrug fast 75 Jahre, abzüglich eines sehr interessierten «Ausreissers» im Alter von nur 19 Jahren. Ausser den beiden Damen hatten die Teilnehmenden vom Hufschmied bis zum ehemaligen Obersten einen vielfältigen militärischen Hintergrund. Was der Schreibende vernahm, waren jedoch alle höchst zufrieden mit den erhaltenen Informationen und mit dem Erlebten.

Als Erinnerung wurde nebst dem Gruppenbild eine hervorragend produzierte GMS-Dokumentation von knapp 40 Seiten abgegeben: einerseits ein Bericht zur Bombardierung von Schaffhausen am 1. April 1944, andererseits der Bericht über den Einsatz der Rettungskette in El Salvador, verfasst von Kurt Steinegger, dem damaligen Chef Rettung, publiziert am 13.11.1986.

 

 


 

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