Herbsttagung 2024

Samstag, 9. November 2024

ZUM TAGUNGSBERICHT

STEFAN GUBLER’S TAGUNGSBILDER

Transnationale Gewalt – der Konflikt im Nahen Osten

Samstag, 9. November 2024, Hotel Glockenhof, Zürich

 

Referenten

Dr. Dieter Kläy, Tagungsleiter und GMS-Vorstandsmitglied

Dr. phil. Daniel Rickenbacher, Historiker und Gründer Data Politics, Baden

Dr. phil. Adrian Hänni, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) München-Berlin und Dozent für Politikgeschichte an der FernUni Schweiz, München

Der Tagungsbericht von Dieter Kläy

Schweizer Verflechtungen im Nahen Osten

Die Dialogpolitik der Schweiz im Nahen Osten geht auf die Verhandlungen mit der PLO seit Anfang der siebziger Jahre zurück und ist nicht direkt mit den damaligen Schweizer Interessen erklärbar. Sie hatte aber unbeabsichtigte Folgen und weckt zumindest den Anschein von Legitimierung illegaler Terrororganisationen. Zu diesen Schlüssen kommen die Referenten der GMS-Herbsttagung 2024 vor über 100 Zuhörerinnen und Zuhörer.

Die Referenten der diesjährigen Herbsttagung

Historiker Daniel Rickenbacher erläuterte einleitend die politischen Interessen der Schweiz in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Bis in die 1960-er Jahre des 20. Jahrhunderts war die wichtigste Auslandschweizergemeinde in Ägypten. Rund 1000 in der Regel begüterte Schweizerinnen und Schweizer widmeten sich dem Baumwollhandel und anderen Geschäften. Mit Machtübernahme Nassers Ende der 60-er Jahre und seiner Nationalisierungspolitik Ägyptens wurde diese Gemeinschaft zur Auswanderung gezwungen. Heute lebt die grösste Schweizer-Kolonie des Nahen Ostens und Asiens in Israel. Sie zählte 2022 rund 24‘000 Personen. Diese Gemeinschaft wird bei einem Handelsvolumen von rund 1,8 Mia. Franken an Bedeutung gewinnen. Die zweitwichtigste Auslandschweizer-Gemeinschaft findet sich in den Vereinigten Arabischen Emiraten bei einem Handelsvolumen von 18,7 Mia. Franken (2022). Sie ist vor allem wirtschaftlich getrieben. In Saudi-Arabien leben rund 400 Auslandschweizer bei einem Handelsvolumen von rund 2,3 Mia. Franken. Heute liegen die Schweizer Interessen primär in Israel.

Dr. Daniel Rickenbacher

Doch die Schweizer Aussenpolitik der vergangenen Jahre im Nahen Osten ist nur sehr schwer direkt mit den Schweizer Interessen erklärbar. Sie geht auf die Verhandlungen mit der PLO zurück und zeigt heute in der faktischen Legitimation illegaler Terrororganisationen unbeabsichtigte Folgen.

Unter Bundesrätin Micheline Calmy-Rey stand die Friedensförderung mit dem Anspruch den arabisch-israelischen Konflikt zu lösen, im Fokus. Mit Hamas und Hisbollah wurden Dialogprogramme lanciert. Der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat diese Politik relativiert. In der Wintersession 2024 berät das Parlament ein Verbot der Hamas. Diesem Verbot erwächst Widerstand aus dem EDA, von den rot-grünen Parteien und von NGO-Kreisen. Diese wollen den 2004 lancierten Dialog nicht gefährden. Seit 2006 ist es regelmässig zu Dialogtreffen in der Schweiz gekommen, was kritische Reaktionen seitens Israel und den USA provozierte. Derzeit aber ist der Dialog mit der Hamas gestoppt. Doch der jahrelange Dialog, der nicht nur in der Schweiz, sondern auch international geführt worden ist, hat in gewissem Sinne zu einer Legitimierung der Hamas geführt.

Ursprünge der Nahost – Politik

Die Grundlagen dieser Politik wurde Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre gelegt. Damals gab es in der Schweiz eine Anschlagserie, im Februar 1969 gegen ein El-Al-Flugzeug in Kloten, ein terroristischer Akt 1970, der zum Absturz einer Swissair-Maschine bei Würenlingen führte und zur Entführung eines Swissair-Flugzeugs nach Zerka (Jordanien). Dazu lief eine politische Kampagne der arabischen Staaten gegen die Schweiz. Die in der Schweiz operierenden palästinensischen Gruppen unterhielten Verbindungen zur Arabischen Liga. Im Herbst 1970 startet die Schweiz unter Vermittlung des Weltkirchenrates geheime Verhandlungen mit palästinensischen Vertretern. 1971/1972 einigte man sich auf den Modus Vivendi, dass die Schweiz keine Strafverfolgung aufnimmt, dafür die palästinensischen Gruppen in der Schweiz keine Anschläge mehr durchführen. Die Schweizer Aussenpolitik suchte einen Modus Vivendi mit den palästinensischen Gruppierungen.

Die Verflechtung zwischen der Schweiz und der palästinensischen Befreiungsbewegung

Historiker Adrian Hänni stützte in seinen Ausführungen diese These. Will man heute die Position der Schweiz im Nahen Osten verstehen, muss man dies mit dem Gesamtblick seit Ende der 60-er Jahre tun. Jäh unterbrach der palästinensische Terrorismus den Dornröschenschlaf der Schweiz. Es kam zu Solidaritätsbekundungen zugunsten palästinensischen Gruppen. Drei überlebende Attentäter wurden im Prozess in Winterthur zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Etwa ein Dutzend für Palästina organisierte Bewegungen formierten sich. Sie waren in einer Struktur eingebettet und stark durch die Arabischen Liga in Genf unterstützt. Fuad Shamali, ein Vertreter der Fatah, der Ende der 60-er Jahre nach Genf kam und als Mentor der Aktivisten verstanden wurde, koordinierte diese Unterstützung. Der Altnazi und Banker François Genoud spielte in diesem Geflecht ebenfalls eine Schlüsselrolle.

Dr. Adrian Hänni

Nachdem sich die Schweiz abrupt mit zwei dramatischen Ereignissen konfrontiert sah – der grössten je dagewesenen Flugzeugkatastrophe in Würenlingen und einer internationalen Krise, die beinahe einen Monat dauern sollte (über 400 Passagiere von entführten Flugzeugen wurden als Geiseln genommen und später im Austausch gegen in London, München und Zürich inhaftierte Gefangene freigelassen) – kam es auch noch zu einer starken Mobilisierungsbewegung zugunsten Palästinas. Drei noch lebende Attentäter auf die El-Al-Maschine 1969 wurden freigepresst. Im Dezember 1971 erfolgte ein Bombenanschlag auf das jordanische Konsulat in Genf und im September 1972 auf die israelische UNO-Mission in Genf. Diese Ereignisse gingen als «Schwarzer September» in die Geschichte ein.

Die Schweiz als Operationsbasis

Die Schweiz wurde mehr und mehr auch zu einer Operationsbasis Palästinas. Udo Albrecht plante von der Schweiz aus Anschläge in Deutschland. Am 24. Dezember 1970 wurde er in Zürich verhaftet. Der in einem Schliessfach der damaligen Volksbank gefundene Sprengstoff inklusive Zünder entsprach dem Sprengstoff, der 1969 auf die El-Al-Maschine verwendet worden war. In Genf baute Mohammed Boudia eine Basis für Anschläge im Ausland auf. Zweistellige Millionenbeträge der Fatah wurde auf Konten von Schweizer Banken deponiert.

Auch Schweizer engagierten sich in Palästina, was aber eher die Ausnahme war. Marc Rudin schloss sich 1979 der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) an. Er wurde zum leitenden Grafiker für das PFLP-Bulletin. Bruno Breguet war er erste Schweizer, der einen terroristischen Anschlag für die Palästinenser verüben wollte. Er bot sich am 29. Juli 1969 telefonisch der Arabischen Liga an. Das Gespräch wurde zwar vom Nachrichtendienst mitgeschnitten. Dieser verzichtete aber auf eine Intervention. So reiste Breguet im Februar 1970 in den Libanon. Für einen Anschlag musste er nach Israel reisen, wurde aber verhaftet und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.

Geheimdiplomatie in Bern

Konkrete Beziehungen zu den Palästinenserorganisationen wurden Ende 1970 / Anfang 1971 unter Bundesrat Pierre Graber lanciert. Das damalige „Politische Departement“ begann unter dem damaligen Generalsekretär Ernesto Thalmann, dem Leiter des politischen Dienstes West, Michael Gelzer, und dem damaligen stellvertretenden Leiter politisches Sekretariat EPD, Edouard Brunner, mit Geheimverhandlungen. Ende 1971 war es so weit. Eine Vertretung der PLO wurde in Genf akzeptiert. Im Gegenzug erhielt die Schweiz die Sicherheit, dass es keine Anschläge mehr gibt. Dennoch kam es mit einem Anschlag auf das jordanische Generalkonsulat in Genf zum Schwarzen September, was zum Unterbruch des Dialogs führte. Man wollte vorerst kein Abkommen mit der PLO, wollte seitens des EDA den Dialog aber nicht vollständig abbrechen. 1973 wurden die Gespräche fortgeführt. Das implizite Agreement stand.

Bern suchte auch einen direkten Kanal zur PFLP. Hier kam Bruno Breguet ins Spiel. Bern musste dafür sorgen, dass Israel Breguet freilässt, ansonsten wieder Anschläge gedroht hätten. Die Idee kam von SP-Bundesrat Graber. Die Gespräche haben Mittelsmänner wie z.B. SP-NR Gilbert Baechtold organisiert. Im Mai 1971 gab es für die Schweiz befristete Sicherheitsgarantien unter der Bedingung, dass Breguet freigelassen wird. Letztlich kam zu impliziten Übereinkünften in der Form eines Prozesses, nicht aber zu einem formellen Vertrag. So entwickelte sich die Verflechtung zwischen der Schweiz und Palästina schrittweise auf vier Pisten: der Solidaritätsbewegung, der Schweiz als Ziel von Anschlägen und logistische Operationsbasis, im Rahmen der Geheimdiplomatie des Bundesrates und durch Schweizer Foreign Fighters, die aber die Ausnahme blieben, wie die Beispiele Breguet und Rudin zeigten.

Buchtipps

Über Grenzen hinweg – Transnationale politische Gewalt im 20. Jahrhundert
Adrian Hänni, Daniel Rickenbacher, Thomas Schmutz (Herausgeber)
Verlag Campus
ISBN: 978-3-593-51645-5

und

Terrorist und CIA-Agent – Die unglaubliche Geschichte des Schweizers Bruno Breguet
Adrian Hänni
Verlag NZZ Libro
ISBN: 978-3-907291-87-0

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